Namibia – einmal kotzen und zurück

Zum Meet and Greet mit Lady Gaga

In der flimmernden Luft erkenne ich nur sehr schemenhaft Flamingos. Rosa und plüschig auf einem Bein. Da wäre ich jetzt gerne näher rangefahren, doch der Plan ist heute ein anderer. Wir stehen in einer kleinen Parkbucht und schauen unserem Guide dabei zu, wie er die Luft aus den Reifen seines Rovers 4×4 Geländewagen lässt. Ein äußerst attraktiver Guide, wie ich finde. Muskulös und blond. Er könnte auch ein Deutscher sein, wie viele Einwohner hier deutsche Vorfahren haben. Seine blonde, kräftige Beharrung auf den maximal gebräunten Armen ist männlich, derbe, sexy. Der ideale Luftdruck der Bereifung ist eine Wissenschaft für sich. Für mich sieht der Reifen nach der Prozedur einfach „platt“ aus, aber der geringe Druck soll die Fahrt durch Sand und Geröll einfacher und besser machen. 

In meinem Bauch fühlt sich die Fahrt durch die Kraterlandschaft ein bisschen unheimlich an, wir könnten auch gerade wirklich irgendwo auf dem Mond sein. Weites nichts. Trotz der platten Reifen rumpelt das Auto fast unangenehm und die angestrengte Suche nach Leben oder Veränderungen lassen meine Augen brennen. 10 Minuten später ist es endlich soweit und die Landschaft ändert sich.  Wir sind im feinen, roten Wüstensand angekommen. Der Wind hat geschwungene Muster hinterlassen. Und unvermittelt taucht auch der Ozean auf. 

Endlich mal aussteigen und die Luft fühlen, schmecken und erste Eindrücke von der Umgebung sammeln. Die Idee, meine Schuhe auszuziehen, rächt sich sofort. Der Sand ist unglaublich heiß und die Füße sinken bis zu den Knöcheln ein. Nachts kann es hier auf 0 Grad abkühlen, jetzt liegen da bestimmt 40 Grad zwischen. Es fühlt sich fast wie samt an, ganz weich und leicht. Der Sand rinnt durch die Zehen und setzt sich auch in die kleinsten Hautfalten. Noch Stunden später wird er mich an diese dumme Entscheidung erinnern, wenn er unter Socken in den Schuhen rubbelt und meine Haut langsam, aber sicher peelt. Ich hatte mit einem heißen Luftstrom gerechnet, der im Gesicht brennt, doch es geht nur ein ganz leichter, warmer Wind. Er reicht allerdings aus, um auf den Erinnerungsfotos die Frisur total verwuschelt aussehen zu lassen. Nach wenigen Schritten in Richtung Abgrund wird schon klar, dass morgen ein Muskelkater in den Oberschenkeln den Tag begleiten wird. Wenn der Sand unter den Füssen nachgibt, kommt man schnell ins Rutschen und die ersten Schritte über den Abhang kosten Überwindung.

Doch dann geht’s Abwärts, zügig abwärts. Nichts zum Festhalten weit und breit. Außer vielleicht die Mitläufer, aber die kämpfen genauso um jeden Meter Standhaftigkeit. Ich entscheide mich für die Taktik, mich nach einigen gerutschten Metern einfach in den Sand fallen zu lassen, bevor ich das Gleichgewicht verliere oder unkontrollierbar schnell abwärts laufe. Vor vielen Jahren hat ein ergiebiger Regen küstennahe Teile der Wüste durchnässt. An einigen Stellen ist das Wasser im Boden versickert hat den Sand zu harten Betonklötzen verklebt. Manchmal, wenn der Sand verweht, werden skurrile Skulpturen sichtbar. In dieser Düne sind einige harte Stellen noch gut versteckt. Aber ich finde einige, weil ich hart drauf pralle. Nicht nur Muskelkater, sondern auch blaue Flecken am Hinterteil und den Oberschenkeln, werden morgen davon erzählen.

Der Abstieg dauert nur kurze Minuten, trotzdem fühle ich mich wie ein Marathonläufer und freue mich auf eine Flasche Wasser. 

Es geht weiter über die Dünen, rauf und runter zu unserem eigentlichen Ziel, der Düne „Lady Gaga“.  Ein bisschen verrückt, ein bisschen unberechenbar, aber majestätisch, so sagt man. Das Wasser in meinem Bauch gluckert bei jeder Kurve. Im Sand sind Spuren der anderen Rover. Sie alle halten sich an eine Richtung und Spur. Erstaunlich, wie sie hier ihre Wege finden, für mich sieht es alles gleich aus. Immer der gleiche gelblich-rote Sand, der in der Sonne seine Farbe wechselt. Die gleichen sanften Hügel, mal höher, mal mehrere, mal nur einer. Aber kein Anhaltspunkt, den die Augen fixieren könnten. Ich weiß nicht, wie viele Kilometer wir in der Wüste sind. Nördlich? Südlich? Wie weit ist es, bis zum Start-Parkplatz und in welcher Richtung liegt er? Keine Ahnung. Allein ohne Fahrer in diese Weiten zu fahren, wäre leichtsinnig.

Und dann halten wir auf eine besonders hohe Düne zu, dies scheint die wunderbare „Lady Gaga“ zu sein. Ich bin verwundert, wie mühelos der Rover aufwärts fährt. Im Sand hatte ich vorhin keinerlei Halt und der Sand rutschte unaufhaltsam unter meinen Füssen weg. Die Reifen scheinen genügend Gripp zu bekommen. Wir schrauben uns immer höher, nicht auf dem geradesten Weg. Der Weg führt an steilen Abhängen vorbei. Das Auto kippt hin und her und ein paar Mal gefährlich nah über die Kante in Schräglage. 

Höher und höher auf die Düne hinauf. Ein paar Schlangenlinien später um kleinere Kuppen und dann stehen wir weit oben. Mit Blick über eine wunderschöne Landschaft. Der Himmel leuchtet kitschig blau und die Weite der Wüste ist kaum zu ertragen, so schön. Tatsächlich scheint es so, als wären wir nun ganz oben, über allen Dingen im Nichts. 

Es ist still um uns herum und ich realisiere, dass der Motor des Rovers aus ist. Wir stehen ganz dicht an der Kante eines steilen Abhangs. Die Ruhe ist atemberaubend. Doch ganz langsam und unvermittelt kippt der vordere Teil des Fahrzeuges über den Rand. Wie in Zeitlupe. Mein Herz rutscht hingegen ziemlich schnell in meine Hose und ich kann mir einen kleinen Aufschrei nicht verkneifen, als das Auto knirschend zu rutschen beginnt. Wo eben noch Himmel war, sehe ich jetzt nur noch auf gelben, staubigen Sand. Es ist ein abenteuerliches, kaum beschreibbares Geräusch unter dem Auto. Ich möchte nachher unbedingt das Bodenblech ansehen, es muss blank sein. Gesandstrahlt. Es knirscht, scheuert, quietscht. Von allem ein bisschen und zeitgleich. Und wir rutschen unaufhaltsam in die Tiefe. Es geht fast senkrecht nach unten. Neben uns taucht ein weiterer rutschender Rover auf. An ihm kann man schön sehen, wie tief auch unsere Reifen im Sand stecken müssen. Fast wie ein einstudiertes Ballett rutschen wir gemeinsam Lady Gaga hinab. Der Ritt im Sand dauert nur ein paar Minuten, doch gefühlt rutschen wir eine halbe Ewigkeit. Am Fuße von „Lady Gaga“ steige ich aus und meine Knie zittern, das Stehen fällt mir nicht nur wegen des Sandes sehr schwer. Das war unfassbar schön! Aufregend! Ich habe „Lady Gaga“ bezwungen und mir ist nur ein bisschen übel. Viel zu früh müssen wir wieder ins Auto einsteigen und zurückfahren.

Es ist still im Auto. Das Erlebte klingt nach. So erreichen wir nach schier endloser Fahrt wieder die kleine Parkbucht. Die Luft darf zurück in die Reifen und tatsächlich sieht der Rover so aus, es sei nie etwas gewesen. Keine Spur des Sandes, nichts ist blank. Den Sand habe ich dafür. Überall. Und noch Tage später werde ich ihn finden….an unerklärlichen Stellen.

 

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Corinna Kruse Profilbild einer Reisejournalistin

Corinna Kruse

Als studierte und seit 2021 selbstständige Journalistin liebe ich es meine Erlebnisse in Worte zu packen. Ich möchte andere dazu motivieren, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben und ihr Leben in die Hand zu nehmen.

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